Biografiearbeit. Mädchen und Jungen entdecken ihre Geschichte
Auszüge aus Rezensionen

Richard Grübling in Sozialmagazin, 33. Jg., Heft 5/2008

Kreative Biografiearbeit

Zehn Jahre nach dem Praxis-Meilenstein »Wo gehöre ich hin? Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen« der englischen Sozialarbeiter Tony Ryan und Rodger Walker (bisher vier Auflagen, ebenfalls bei Juventa) legen Birgit Lattschar, die deutsche Entdeckerin der ursprünglich 1993 beim Britischen Adoptions- und Pflegeverband erschienenen »grauen Literatur« und die Adoptiv- und Pflegekinderspezialistin Irmela Wieman ein systematisches Lehr- und Praxisbuch zur Biografiearbeit vor. Es ist in zwei Teile gegliedert: Grundlagen und Voraussetzungen sowie Praxis der Biografiearbeit mit Kindern. Auf die Vertiefung, die diese sozialpädagogische Methode aus dem angelsächsischen Raum der achtziger Jahre in ihrer deutschen Prägung in den letzten zehn Jahren erfahren hat, wird außerdem eingegangen. Es bedarf keiner therapeutischen Ausbildung um (auto-)biografisch arbeiten zu können. Auch (Adoptiv- und Pflege-)Eltern können es tun.

Als Einstieg in das Buch empfehlen sich die Erfahrungsberichte, die teilweise unter die Haut gehen und die Wirksamkeit dieser relativ einfachen Methode zeigen. Wenn Sozialpädagogik nach Alice Salomon (1925) »die Kunst des Lebens lehrt«, dann ist Biografiearbeit eine mal mehr spannende, mal mehr anstrengende begleitete »Reise zu sich selbst« (S. 222). Immer geht es darum, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen, die Vergangenheit zu verstehen und zu verarbeiten, sich seines Selbst bewusst zu werden und eine gewisse Vorstellung von der eigenen Zukunft zu entwickeln. Dies ist nicht nur für Heim-, Pflege- und Adoptivkinder wichtig. Auch bei Kindern aus so genannten Normalfamilien kann Biografiearbeit einen wesentlichen Beitrag zur ldentitätsfindung leisten. Dazu dienen die Erstellung eines Lebensbuches oder einer Ich-Mappe, eines Stammbaums oder Familienrads, Spiele und Phantasiereisen, Geschichten und Lebensbriefe, Bilderbücher und Medien, Besuche von Orten der Vergangenheit und Trauerarbeit. Der Kreativität in Bezug auf die Mittel der Biografiearbeit sind keine Grenzen gesetzt. Sie lässt sich auch in Gruppen durchführen.

Die Anschaulichkeit des Buches weist auf seine besondere Qualität hin: viele praktische und kreative Beispiele, die anregend und gut umsetz- und variierbar sind. Das gilt auch für die Vorschläge für Gespräche mit Kindern zu schwierigen Themen wie Sucht und lebensverkürzende Krankheiten von Eltern, Prostitution der Mutter, Gefängnisaufenthalt des Vaters, Gewalt, Misshandlung und Suizid in der Herkunftsfamilie. Das Buch hat das Zeug zum Standardwerk.

Zwei kritische Anmerkungen:
Die bereits 1998 erschienenen, wichtigen »Methoden der Biografiearbeit« in Therapie, Altenhilfe und Erwachsenenbildung von Hans Georg Ruhe (bisher drei Auflagen, ebenfalls bei Juventa) werden nicht rezipiert und wurden auch im Literaturverzeichnis vergessen. In der hoffentlich bald fälligen zweiten Auflage sollte dies korrigiert werden. Der Haupttitel ist zudem umständlich und unpräzise. Wenn man auf den fachlichen Begriff Biografiearbeit im Haupttitel verzichtet, riskiert man viele interessierte Leser nicht zu erreichen. Bekanntlich ist der Buchtitel immer die »halbe Miete«.

Jutta Eigner in: Elternheft Nr. 98, 2/08, Pflegeelternverein Steiermark, Graz
Auch erschienen in Adoptionsberatung.at

WOHER KOMME ICH UND WEM GLEICHE ICH?

Im letzten Jahr erschien ein 240 Seiten starkes Buch, das sich mit einer im deutschsprachigen Raum immer weiter verbreiteten Möglichkeit beschäftigt, mit Kindern ihre Geschichte zu bearbeiten: der Biografiearbeit.

Biografiearbeit ist immer dann interessant, wenn Kinder und Jugendliche eine nicht ganz einfache Geschichte mitbringen und wird oft (aber nicht nur) eingesetzt, wenn diese von ihren Eltern oder Elternteilen getrennt leben. Von Seiten der Kinder kann es diesbezüglich viele – nicht immer ausgesprochene – Fragen geben. »Wer bin ich? Woher komme ich? Wem gleiche ich? Wer ist meine leibliche Familie? Warum musste ich fort? Warum lebe ich hier? Was wird aus mir?« sind einige davon. Biografiearbeit kann in diesem Fall einen wichtigen Beitrag leisten, die eigene Geschichte und aktuelle Lebenssituation besser zu verstehen. Auch wenn sie keinen Ersatz für eine Therapie darstellt, so kann sie jedenfalls helfen, Fragen für das Kind zu klären und wieder mehr Energie für andere Entwicklungsaufgaben frei werden zu lassen.

Sehr oft arbeiten Pflege- und Adoptiveltern mit ihren Kindern biografisch, ohne es so zu nennen: Familienalben werden angelegt, Erinnerungskisten mit wesentlichen Teilen der Geschichte des Kindes zur Verfügung gestellt, Mappen mit wichtigen Dokumenten gesammelt etc. Biografiearbeit systematisiert und erweitert diese Vorgehensweise. Die beiden Autorinnen erklären: »Biografiearbeit umfasst die möglichst konkrete Auseinanderssetzung mit der bisherigen Lebensgeschichte, sie hat aber immer auch die aktuelle, gegenwärtige Beschreibung des Kindes und seine Erlebnisse und Erfahrungen zum Inhalt: sein Aussehen, seine Vorlieben, sein Stärken und Schwächen. Auch Informationen über das soziale Umfeld und die Beschreibung wichtiger Menschen werden gesammelt. Zahlreiche Übungen ermutigen Kinder, Gefühle wahrzunehmen und zu beschreiben und sich mit ihrem aktuellen sozialen Umfeld zu befassen. Immer werden während des Arbeitsprozesses auch Aspekte der Zukunft (Was wird aus mir, wie möchte ich einmal leben?) angeschaut und dokumentiert.« (Lattschar/Wiemann, Seite 27).

Obwohl Biografiearbeit grundsätzlich mit Kindern jeden Alters möglich ist, gibt es natürlich große Unterschiede, was in welchem Alter sinnvoll ist. Hierauf gehen die Autorinnen u.a im ersten Teil des Buches ein, der sich mit Grundlagen und Voraussetzungen der Biografiearbeit beschäftigt und ihre Geschichte, Anwendungsbereiche, Themen und Kompetenzen der begleitenden Erwachsenen diskutiert. Bei Säuglingen und Kleinkindern gehe es vorerst um das Erzählen von Geschichten und das Sammeln und Dokumentieren von Informationen und Erinnerungsstücken von früher. Dies sei eine Aufgabe für die Eltern bzw. Erwachsenen in Elternfunktion, die bis ins Jugendalter die wichtigsten Stützen der Biografiearbeit bleiben. Im Kindergartenalter lässt sich die Basis mit Rollen- und Puppenspielen, Zeichnungen und persönlichen Bilderbüchern über die eigene Geschichte weiter ausbauen.

Für Schulkinder erweitern sich die Möglichkeiten nochmals deutlich. Kinder haben in diesem Alter ein großes Interesse an der eigenen Person und sind in der Regel leicht für Biografiearbeit zu begeistern. Nun können Eltern mit ihren Kindern erstmals auf eine der bekanntesten Methoden der Biografiearbeit zurückgreifen, das Lebensbuch. Lattschar/Wiemann widmen dem Lebensbuch im zweiten Teil des Buches – dem Praxisteil – ein eigenes Kapitel, das viele Anregungen bietet, um sich mit der Erstellung eines solchen Buches vertraut zu machen. Eine vorgegebene Kapitelstruktur mit vielen Vorlagen erleichtert die Arbeit am Lebensbuch. Lattschar/Wiemann bieten eine Reihe von Anregungen.

Lebensbücher eignen sich auch für Jugendliche. Allerdings haben Lattschar/Wiemann die Erfahrung gemacht, dass es in dieser Zeit schwieriger wird, Jungen und Mädchen zur Biografiearbeit zu motivieren und dass in diesem Alter nicht mehr unbedingt die Eltern sein sollen, die mit dem/der Jugendlichen an seiner/ihrer Geschichte arbeiten... »Manchmal zeigen sie Desinteresse, manchmal wollen sie wegschieben, was in der Vergangenheit war und richten die Gedanken auf das Jetzt und die Zukunft. Eltern und andere Erwachsene in Elternfunktion sind jetzt nicht immer die optimalen Personen zur Durchführung, da es häufig Konflikte gibt. Gruppenarbeit, die von außen angeboten wird, ist dann oft fruchtbarer als die Arbeit mit einzelnen Jugendlichen.« (S. 53) In der Gruppe geht es dann beispielsweise um gemeinsame Aktivitäten und Aktionen wie einen Film drehen oder Ausflüge an bedeutsame Orte der Vergangenheit unternehmen.

Für all diese Aktivitäten sind im vorliegenden Buch eigene Kapitel vorgesehen: Gruppenarbeiten und andere Methoden des biografischen Arbeitens werden von den Autorinnen ebenso ausführlich besprochen, wie Geschichten, Bilderbücher und Lebensbriefe. Ein eigenes Kapitel widmet sich außerdem dem Umgang mit »schweren Themen« wie Misshandlung in der Familie, psychische Erkrankung, Alkohol- oder Drogenmissbrauch, aber auch bleibende Lücken in der Vergangenheit. Lattschar und Wiemann gehen davon aus, dass Kinder die Fähigkeit besitzen »schwere Fakten des Lebens als gegeben hinzunehmen, wenn Erwachsene sie dabei unterstützen. Die meisten Kinder fühlen sich befreit und entlastet, wenn sie die Ereignisse bewusst erfassen und einordnen können. Kinder haben ganz offensichtlich ein größeres Potenzial, Schweres zu verarbeiten, als Erwachsene sich vorstellen.« (S. 179) Wie derartige Geschichten zusammenhängend dargestellt und für Kinder formuliert werden können, dafür geben die Autorinnen Beispiele.

»Mädchen und Jungen entdecken ihre Geschichte« kann als Lektüre Fachkräften ebenso empfohlen werden wie Pflege- und Adoptiveltern. Das Buch liest sich leicht, wird durch Fallbeispiele und Anregungen aus der Praxis sehr lebendig und hinterlässt mit seinen zwei Teilen – einem theoretischen über »Grundlagen und Voraussetzungen« und einem Praxisteil – den Eindruck, einen wirklich umfassenden Einblick in das Thema bekommen zu haben. Für den einen oder die andere wird es vielleicht auch Anregung sein, vermehrt in diese Richtung zu arbeiten…

Heidrun Sauer, Familien für Kinder, Berlin, Pflegekinder 2/07

Das kann man gleich vorweg sagen: das Buch ist eine Bereicherung für alle, die sich mit dem Thema Biografiearbeit beschäftigen. Unabhängig davon, ob man das theoretisch oder praktisch tut. Der Untertitel des Buches ist auch gleichzeitig Programm, sowohl die Grundlagen (Teil I) als auch die Praxisberichte und Praxisbeispiele (Teil II) sind fundiert interessant zusammengestellt und bieten eine Fülle von Informationen und Anregungen.
Man erfährt z. B.:
  • für welche Kinder Biografiearbeit geeignet ist, denn das Buch bezieht alle Kinder ein, die von ihren Eltern bzw. von einem Elternteil getrennt leben, z. B. auch Scheidungskinder,
  • wie man einem Säugling die Trennung von seinen Eltern erklären kann und wie man mit Hilfe neuer Medien vielleicht auch einen Jugendlichen zur Biografiearbeit motivieren könnte,
  • welches die zentralen Themen der Biografiearbeit sind und
  • anhand vieler Beispiele, wie man Biografiearbeit mit den Kindern und Jugendlichen in der Praxis umsetzen kann.
Aber das sind nur einige Aspekte aus dem Fundus des 240-seitigen Bandes. Die übersichtliche Gliederung macht es leicht, sich darin zurechtzufinden und die vielen Illustrationen veranschaulichen die Praxisbeispiele. Auch die Literaturhinweise, die sich nicht nur in der sehr ausführlichen Literaturliste finden, sondern direkt nach jedem Kapitel bzw. Thema, vereinfachen es, die richtige weiterführende Literatur zu finden.
Zusammengefasst kann man deshalb sagen: Alle Pflegeeltern und Fachkräfte im Pflegekinderbereich können sich darüber freuen, dass Ihnen ab jetzt ein so hilfreiches Standardwerk zum Thema Biografiearbeit zur Verfügung steht.

Helga Heugel, Jugendamt Stuttgart

Das aktuelle Buch von Frau Wiemann und Frau Lattschar ist ein sehr praxisnahes Arbeitshandbuch zum Thema Biografiearbeit mit Kindern und Jungendlichen.

Frau Wiemann ist Psychologin und Familientherapeutin und seit Jahrzehnten bereits auf die Beratung, Therapie und Fortbildung im Bereich Pflege-, Adoptiv- und Herkunftsfamilien spezialisiert. Frau Lattschar ist Heilpädagogin, Diplom-Pädagogin und systemische Beraterin. Sie hat viele Jahre in einem heilpädagogischen Kinderheim gearbeitet und ist im Kinderschutzdienst Worms tätig. Sie arbeitet als Referentin für Pflege- und Adoptiveltern und Fachkräfte der Jugendhilfe.

Bereits der rückseitige Klappentext des Buches beschreibt treffend, was die Leser/-innen erwartet:

»Der Band vermittelt lebendig und umfassend die theoretischen Grundlagen und die Praxis der Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen sowohl für Eltern, Pflege- und Adoptiveltern als auch für Bezugspersonen in Heimen oder Tagesgruppen, Beraterinnen und Berater. Er bietet eine Fülle von Anregungen, Vorlagen und Übungen.«

Dementsprechend ist das Buch aufgebaut. Im ersten Teil werden, in knapper und sehr gut verständlicher Form, Grundlagen der Biografiearbeit vermittelt und daran anknüpfend die notwendigen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die Durchführung abgeleitet.

Hierbei wird auf die unterschiedlichen Lebenssituationen der Kinder (Kinder in Erziehungshilfe; Adoptiv- und Pflegekinder; Kinder, die in ihrer Herkunftsfamilie leben) eingegangen und der Bezug zu den unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Kinder hergestellt.

Im zweiten Teil des Buches finden sich viele konkrete Anregungen für die Praxis. Es werden vielfältige Möglichkeiten für die Biografiearbeit vorgestellt und diese teilweise mit illustrierten Beispielen vertieft. Für die Alltagspraxis sind die beispielhaft genannten Formulierungen für Gespräche mit Kindern oder Lebensbriefe sehr hilfreich. Hier werden schwere Themen wie Suchterkrankung der Eltern, Suizid, Gefängnisaufenthalt, Prostitution o. Ä. in ehrliche und dennoch für Kinder verständliche Worte und Sätze gepackt.

Zum Abschluss des Buches werden verschiedene Praxisberichte vorgestellt.

Die vielfältigen und langjährigen Erfahrungen der Autorinnen und ihr unmittelbare Begegnung mit Fachkräften und Familien sind dem Buch anzumerken. Es streift die theoretischen Grundlagen, glänzt aber vor allem durch die vielfältigen und sehr konkreten Anregungen für die Praxis. Damit ist es eine wertvolle Grundlage für Fachkräfte der Jugendhilfe, aber auch eine hilfreiche Unterstützung für Pflege- und Adoptiveltern. Die einzelnen Kapitel sind mit Hinweisen zu weiterführender Literatur gespickt, so dass der Weg zur weiteren Vertiefung gewiesen ist.

Fazit: Das Buch ist ein Muss für alle, die mit Kindern und Jugendlichen am Thema Biografie arbeiten möchten!


Klaus ter Horst in
Informationen für Erziehungsberatungsstellen 3/07

»Mein Vater ist Inder«

Hast du eigentlich ein Foto wo du als Baby drauf bist? Wer hat dir deinen Namen gegeben? Gibt es ein Kuscheltier oder einen Gegenstand, der dir schon seit deiner Zeit im Kindergarten wichtig ist? An welchen Orten hast du bis zur Einschulung gelebt?

All das sind Fragen, die viele Kinder in der Jugendhilfe nicht oder nur unzureichend beantworten können. Nachdem es in der Nachkriegsära ein unausgesprochenes Tabu in der Beschäftigung mit der eigenen Biografie gab, schlummerte dieses Thema lange vor sich hin. Die Bedeutung der Biografiearbeit im Kontext der stationären und teilstationären Jugendhilfe war jedoch offensichtlich, so dass seit Mitte der achtziger Jahre das Thema Biografiearbeit von Fachleuten aufmerksamer wahrgenommen wurde. Mit »Auf meinen Spuren« von Gudjons, Pieper und Wagener kam 1986 eines der ersten Bücher zu diesem Thema auf den Markt, das für Pädagogen und Psychologen schnell zum wichtigen Nachschlagewerk wurde. Über 20 Jahre später veröffentlichen Birgit Lattschar und Irmela Wiemann jetzt ihr Buch: Mädchen und Jungen entdecken ihre Geschichte — Grundlagen und Praxis der Biografiearbeit. Dieses 240 Seiten umfassende Taschenbuch beschreibt in zwei Hauptteilen die Grundlagen und Voraussetzungen der Biografiearbeit und die Praxis der Biografiearbeit.

Nicht nur positive und stärkende Aspekte
In dem Grundlagenteil gehen Lattschar und Wiemann auf die Frage ein, was die Biograflearbeit ist und für welche Kinder sie sich eignet. Sie stellen einen Zusammenhang zwischen dem kindlichen Entwicklungsstand und den verschiedenen Formen der Biografiearbeit her und benennen die zentralen Themen. Dem schließen sich wertvolle Hinweise zu den notwendigen Rahmenbedingungen der Biografiearbeit, den Kompetenzen der Erwachsenen, die mit Kindern Biografiearbeit durchführen, und dem Einbezug der Herkunftsfamilie an.

Im zweiten Teil zur Praxis der Biografiearbeit gibt es neben der Anfertigung eines Lebensbuches um methodische Aspekte (Spiele, Medien, Besuche von Orten der Vergangenheit, etc.). Der Tatsache, dass die Einbettung eines Lebenslaufes in die familiären sozialen und strukturellen Bezüge nicht nur positive und stärkenden Aspekte der eigenen Lebensgeschichte wieder in das Bewusstsein holt, wird durch das Kapitel VI »schwere Themen« Rechnung getragen. Gerade die dort genannten Themen Sucht und Abhängigkeit der Eltern, psychische Erkrankungen der Eltern, Gewalt und Misshandlungserfahrungen, sowie Suizid und lebensverkürzende Krankheiten in der Familie sind eine Alltagsrealität für Kinder und Jugendliche insbesondere im Kontext der Jugendhilfe.

Das Buch endet mit Berichten aus der Praxis und einem Literatur- und Stichwortverzeichnis. Die Berichte aus der Praxis laden ein zur Nachahmung und motivieren dazu, die Biografiearbeit als konzeptionellen Bestandteil einer Einrichtung zu etablieren.

Mit Fachwissen und Liebe
Dieses mit viel Mühe, Fachwissen und Liebe geschriebene Buch enthält eine Vielzahl an sehr hilfreichen Hinweisen. Zur Vertiefung einzelner Themen verweisen die Autorinnen auf weiterführende Literatur, die nicht nur aktuell, sondern meiner Einschätzung nach auch gut ausgewählt ist. Die für den Leser manchmal etwas willkürliche Zuordnung zum Thema »Grundlagen oder Praxis« benennen die Autorinnen bereits selber als möglichen Kritikpunkt im Vorwort. Das Fachbuch hilft die eingangs aufgelisteten Fragen von Kindern, die viele Belastungen, Brüche und Lücken in ihrer Biografie haben, zu beantworten. Es richtet sich vorrangig an Fachkräfte aus der Jugendhilfe und an engagierte Pflege- bzw. Adoptiveltern. So bleibt abschließend nur die Hoffnung, dass viele Fachkräfte das Buch als Unterstützung und Nachschlagewerk nutzen und dass der Juventa Verlag bei einer Neuauflage dieses Buches den Mut hat, aus dem Paperback ein »richtiges Buch« zu machen, in dem die vielen Beispiele der Biografiearbeit etwas größer und in Farbe dargestellt werden.

Übrigens: Ein (adoptierter) Jugendlicher, der über Jahre hinweg behauptet hatte, sein Vater sei Inder, konnte im Rahmen einer mehrjährigen Biografiearbeit von seiner leiblichen Mutter erfahren, dass sein Vater aus Deutschland kommt.
Klaus ter Horst
Therapeutischer Leiter Eylarduswerk


Isa Tagwerker, Kathi-Lampert-Schule
Buch des Monats Dezember 2008

»Jeder Augenblick verschwindet in einem Hauch und verwandelt sich sogleich in Vergangenheit«
(Isabel Allende)

Mit diesem Zitat beginnen die beiden Autorinnen Birgit Lattschar und Irmela Wiemann ihre Ausführungen zum Thema Biografiearbeit.

Sie definieren Biografiearbeit als eine strukturierte Methode in der pädagogischen und psychosozialen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die es ermöglicht, frühere Erfahrungen, Ereignisse des Lebens mit einer ihnen vertrauten Person zu erinnern, zu dokumentieren und zu bewältigen. Dadurch kann der Einzelne seine Geschichte besser verstehen, seine Gegenwart bewusster erleben und die Zukunft individuell planen. Die Biografiearbeit kann bei Krisen oder Wendepunkten in der Lebensgeschichte einen wertvollen Beitrag leisten. Unbekannte bzw. unverstandene Teile der Biografie können dadurch erklärt  und verarbeitet und z. B. in Form eines Lebensbuches, von Fotos, einer Mappe mit Urkunden, von gemalten Bildern dokumentiert werden. Dokumentierte Erinnerung ist verbindlicher und beständiger als das gesprochene Wort:

»Wer bin ich? Wo komme ich her? Wem gleiche ich? Wer ist meine Familie? Warum lebe ich hier? Was wird aus mir?« (S. 5)

Im ersten Teil ihres Buches gehen die Autorinnen auf die Grundlagen und Voraussetzungen der Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen näher ein:

Biografiearbeit eignet sich für Kinder und Jugendliche in Fremdunterbringung, für Kinder in Trennungs- und Scheidungssituationen bzw. für Kinder, die vom Tod Angehöriger betroffen sind. Dabei kommen im biografischen Prozess zentrale Themen, wie z. B. die Bedeutung der Eltern, Geschwister, der Identitätsentwicklung sowie einschneidende biografische Ereignisse zur Sprache. Die Autorinnen erläutern diese Themen und die damit verbundenen Fragen anhand eines entwicklungspsychologischen Abrisses.

Wichtig dabei ist, dass der/die Begleiter/in in der Beziehung zum anderen eine empathische, respektvolle, akzeptierende und verlässliche Haltung einnimmt. Im zweiten Teil des Buches beschreiben sie die Praxis der Biografiearbeit und erklären biografische Methoden wie z. B. die Arbeit mit dem Lebensbuch.

Wer fundierte Literatur zum Thema Biografiearbeit sucht, dem kann ich dieses Buch wärmstens empfehlen.


Brücke nach Äthopien
Literaturempfehlung

Dieses Buch enthält neben der theoretischen Grundlage auch viele praktische Tipps für eine Umsetzung. Manche Beispiele sind aus dem Leben von Kindern, die in Betreuungseinrichtungen untergebracht sind. Daher ist die Ausgangssituation zwar nicht ganz vergleichbar mit einer Auslandsadoption, doch zeigen sie sehr anschaulich, welche Information für Kinder welche Bedeutung hat und sei sie noch so gering aus der Sicht eines Erwachsenen.

Diese Rezension konnte bei "Brücke nach Äthiopien" und auch bei "Puente Peru" gefunden werden.


C. Dorothee Roer in socialnet Rezensionen

...
Für Fachkräfte, die (…) in der Kinder- und Jugendhilfe biografische Projekte starten wollen, stellt die Arbeit von Birgit Lattschar und Irmela Wiemann allerdings praktisch eine wahre Fundgrube dar.

Zitiert aus
C. Dorothee Roer. Rezension vom 13.08.2009 zu: Birgit Lattschar, Irmela Wiemann: Mädchen und Jungen entdecken ihre Geschichte. Juventa Verlag (Weinheim) 2008. 2. Auflage. 240 Seiten. ISBN 978-3-7799-1777-9. In: socialnet Rezensionen unter https://www.socialnet.de/rezensionen/6251.php, Datum des Zugriffs 15.05.2010.



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