Das aktuelle Buch von Frau Wiemann und Frau Lattschar ist ein sehr praxisnahes Arbeitshandbuch zum Thema Biografiearbeit mit Kindern und Jungendlichen.
Frau Wiemann ist Psychologin und Familientherapeutin und seit Jahrzehnten bereits auf die Beratung, Therapie und Fortbildung im Bereich
Pflege-,
Adoptiv-
und Herkunftsfamilien spezialisiert. Frau Lattschar ist Heilpädagogin, Diplom-Pädagogin und systemische Beraterin. Sie hat viele Jahre in einem heilpädagogischen Kinderheim gearbeitet und ist im Kinderschutzdienst Worms tätig. Sie arbeitet als Referentin für
Pflege-
und Adoptiveltern und Fachkräfte der Jugendhilfe.
Bereits der rückseitige Klappentext des Buches beschreibt treffend, was die
Leser/-innen
erwartet:
»Der Band vermittelt lebendig und umfassend die theoretischen Grundlagen und die Praxis der Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen sowohl für Eltern,
Pflege-
und Adoptiveltern als auch für Bezugspersonen in Heimen oder Tagesgruppen, Beraterinnen und Berater. Er bietet eine Fülle von Anregungen, Vorlagen und Übungen.«
Dementsprechend ist das Buch aufgebaut. Im ersten Teil werden, in knapper und sehr gut verständlicher Form, Grundlagen der Biografiearbeit vermittelt und daran anknüpfend die notwendigen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die Durchführung abgeleitet.
Hierbei wird auf die unterschiedlichen Lebenssituationen der Kinder (Kinder in Erziehungshilfe;
Adoptiv-
und Pflegekinder; Kinder, die in ihrer Herkunftsfamilie leben) eingegangen und der Bezug zu den unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Kinder hergestellt.
Im zweiten Teil des Buches finden sich viele konkrete Anregungen für die Praxis. Es werden vielfältige Möglichkeiten für die Biografiearbeit vorgestellt und diese teilweise mit illustrierten Beispielen vertieft. Für die Alltagspraxis sind die beispielhaft genannten Formulierungen für Gespräche mit Kindern oder Lebensbriefe sehr hilfreich. Hier werden schwere Themen wie Suchterkrankung der Eltern, Suizid, Gefängnisaufenthalt, Prostitution
o. Ä.
in ehrliche und dennoch für Kinder verständliche Worte und Sätze gepackt.
Zum Abschluss des Buches werden verschiedene Praxisberichte vorgestellt.
Die vielfältigen und langjährigen Erfahrungen der Autorinnen und ihr unmittelbare Begegnung mit Fachkräften und Familien sind dem Buch anzumerken. Es streift die theoretischen Grundlagen, glänzt aber vor allem durch die vielfältigen und sehr konkreten Anregungen für die Praxis. Damit ist es eine wertvolle Grundlage für Fachkräfte der Jugendhilfe, aber auch eine hilfreiche Unterstützung für
Pflege-
und Adoptiveltern. Die einzelnen Kapitel sind mit Hinweisen zu weiterführender Literatur gespickt, so dass der Weg zur weiteren Vertiefung gewiesen ist.
Fazit: Das Buch ist ein Muss für alle, die mit Kindern und Jugendlichen am Thema Biografie arbeiten möchten!
Hast du eigentlich ein Foto wo du als Baby drauf bist? Wer hat dir deinen Namen gegeben? Gibt es ein Kuscheltier oder einen Gegenstand, der dir schon seit deiner Zeit im Kindergarten wichtig ist? An welchen Orten hast du bis zur Einschulung gelebt?
All das sind Fragen, die viele Kinder in der Jugendhilfe nicht oder nur unzureichend beantworten können. Nachdem es in der Nachkriegsära ein unausgesprochenes Tabu in der Beschäftigung mit der eigenen Biografie gab, schlummerte dieses Thema lange vor sich hin. Die Bedeutung der Biografiearbeit im Kontext der stationären und teilstationären Jugendhilfe war jedoch offensichtlich, so dass seit Mitte der achtziger Jahre das Thema Biografiearbeit von Fachleuten aufmerksamer wahrgenommen wurde. Mit »Auf meinen Spuren« von Gudjons, Pieper und Wagener kam 1986 eines der ersten Bücher zu diesem Thema auf den Markt, das für Pädagogen und Psychologen schnell zum wichtigen Nachschlagewerk wurde. Über 20 Jahre später veröffentlichen Birgit Lattschar und Irmela Wiemann jetzt ihr Buch: Mädchen und Jungen entdecken ihre Geschichte — Grundlagen und Praxis der Biografiearbeit. Dieses 240 Seiten umfassende Taschenbuch beschreibt in zwei Hauptteilen die Grundlagen und Voraussetzungen der Biografiearbeit und die Praxis der Biografiearbeit.
Nicht nur positive und stärkende Aspekte
In dem Grundlagenteil gehen Lattschar und Wiemann auf die Frage ein, was die Biograflearbeit ist und für welche Kinder sie sich eignet. Sie stellen einen Zusammenhang zwischen dem kindlichen Entwicklungsstand und den verschiedenen Formen der Biografiearbeit her und benennen die zentralen Themen. Dem schließen sich wertvolle Hinweise zu den notwendigen Rahmenbedingungen der Biografiearbeit, den Kompetenzen der Erwachsenen, die mit Kindern Biografiearbeit durchführen, und dem Einbezug der Herkunftsfamilie an.
Im zweiten Teil zur Praxis der Biografiearbeit gibt es neben der Anfertigung eines Lebensbuches um methodische Aspekte (Spiele, Medien, Besuche von Orten der Vergangenheit,
etc.).
Der Tatsache, dass die Einbettung eines Lebenslaufes in die familiären sozialen und strukturellen Bezüge nicht nur positive und stärkenden Aspekte der eigenen Lebensgeschichte wieder in das Bewusstsein holt, wird durch das Kapitel VI »schwere Themen« Rechnung getragen. Gerade die dort genannten Themen Sucht und Abhängigkeit der Eltern, psychische Erkrankungen der Eltern, Gewalt und Misshandlungserfahrungen, sowie Suizid und lebensverkürzende Krankheiten in der Familie sind eine Alltagsrealität für Kinder und Jugendliche insbesondere im Kontext der Jugendhilfe.
Das Buch endet mit Berichten aus der Praxis und einem
Literatur-
und Stichwortverzeichnis. Die Berichte aus der Praxis laden ein zur Nachahmung und motivieren dazu, die Biografiearbeit als konzeptionellen Bestandteil einer Einrichtung zu etablieren.
Mit Fachwissen und Liebe
Dieses mit viel Mühe, Fachwissen und Liebe geschriebene Buch enthält eine Vielzahl an sehr hilfreichen Hinweisen. Zur Vertiefung einzelner Themen verweisen die Autorinnen auf weiterführende Literatur, die nicht nur aktuell, sondern meiner Einschätzung nach auch gut ausgewählt ist. Die für den Leser manchmal etwas willkürliche Zuordnung zum Thema »Grundlagen oder Praxis« benennen die Autorinnen bereits selber als möglichen Kritikpunkt im Vorwort. Das Fachbuch hilft die eingangs aufgelisteten Fragen von Kindern, die viele Belastungen, Brüche und Lücken in ihrer Biografie haben, zu beantworten. Es richtet sich vorrangig an Fachkräfte aus der Jugendhilfe und an engagierte
Pflege-
bzw.
Adoptiveltern. So bleibt abschließend nur die Hoffnung, dass viele Fachkräfte das Buch als Unterstützung und Nachschlagewerk nutzen und dass der Juventa Verlag bei einer Neuauflage dieses Buches den Mut hat, aus dem Paperback ein »richtiges Buch« zu machen, in dem die vielen Beispiele der Biografiearbeit etwas größer und in Farbe dargestellt werden.
Übrigens: Ein (adoptierter) Jugendlicher, der über Jahre hinweg behauptet hatte, sein Vater sei Inder, konnte im Rahmen einer mehrjährigen Biografiearbeit von seiner leiblichen Mutter erfahren, dass sein Vater aus Deutschland kommt.
Klaus ter Horst
Therapeutischer Leiter Eylarduswerk
»Jeder Augenblick verschwindet in einem Hauch und verwandelt sich sogleich in Vergangenheit«
(Isabel Allende)
Mit diesem Zitat beginnen die beiden Autorinnen Birgit Lattschar und Irmela Wiemann ihre Ausführungen zum Thema Biografiearbeit.
Sie definieren Biografiearbeit als eine strukturierte Methode in der pädagogischen und psychosozialen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die es ermöglicht, frühere Erfahrungen, Ereignisse des Lebens mit einer ihnen vertrauten Person zu erinnern, zu dokumentieren und zu bewältigen. Dadurch kann der Einzelne seine Geschichte besser verstehen, seine Gegenwart bewusster erleben und die Zukunft individuell planen. Die Biografiearbeit kann bei Krisen oder Wendepunkten in der Lebensgeschichte einen wertvollen Beitrag leisten. Unbekannte bzw. unverstandene Teile der Biografie können dadurch erklärt und verarbeitet und
z. B.
in Form eines Lebensbuches, von Fotos, einer Mappe mit Urkunden, von gemalten Bildern dokumentiert werden. Dokumentierte Erinnerung ist verbindlicher und beständiger als das gesprochene Wort:
»Wer bin ich? Wo komme ich her? Wem gleiche ich? Wer ist meine Familie? Warum lebe ich hier? Was wird aus mir?« (S. 5)
Im ersten Teil ihres Buches gehen die Autorinnen auf die Grundlagen und Voraussetzungen der Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen näher ein:
Biografiearbeit eignet sich für Kinder und Jugendliche in Fremdunterbringung, für Kinder in Trennungs- und Scheidungssituationen
bzw.
für Kinder, die vom Tod Angehöriger betroffen sind. Dabei kommen im biografischen Prozess zentrale Themen, wie
z. B.
die Bedeutung der Eltern, Geschwister, der Identitätsentwicklung sowie einschneidende biografische Ereignisse zur Sprache. Die Autorinnen erläutern diese Themen und die damit verbundenen Fragen anhand eines entwicklungspsychologischen Abrisses.
Wichtig dabei ist, dass der/die Begleiter/in in der Beziehung zum anderen eine empathische, respektvolle, akzeptierende und verlässliche Haltung einnimmt. Im zweiten Teil des Buches beschreiben sie die Praxis der Biografiearbeit und erklären biografische Methoden wie
z. B.
die Arbeit mit dem Lebensbuch.
Wer fundierte Literatur zum Thema Biografiearbeit sucht, dem kann ich dieses Buch wärmstens empfehlen.
Dieses Buch enthält neben der theoretischen Grundlage auch viele praktische Tipps für eine Umsetzung. Manche Beispiele sind aus dem Leben von Kindern, die in Betreuungseinrichtungen untergebracht sind. Daher ist die Ausgangssituation zwar nicht ganz vergleichbar mit einer Auslandsadoption, doch zeigen sie sehr anschaulich, welche Information für Kinder welche Bedeutung hat und sei sie noch so gering aus der Sicht eines Erwachsenen.
Diese Rezension konnte bei "Brücke nach Äthiopien" und auch bei "Puente Peru" gefunden werden.
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Für Fachkräfte, die (…) in der Kinder- und Jugendhilfe biografische Projekte starten wollen, stellt die Arbeit von Birgit Lattschar und Irmela Wiemann allerdings praktisch eine wahre Fundgrube dar.
Zitiert aus
C. Dorothee Roer. Rezension vom 13.08.2009 zu: Birgit Lattschar, Irmela Wiemann: Mädchen und Jungen entdecken ihre Geschichte. Juventa Verlag (Weinheim) 2008. 2. Auflage. 240 Seiten. ISBN 978-3-7799-1777-9. In: socialnet Rezensionen unter https://www.socialnet.de/rezensionen/6251.php, Datum des Zugriffs 15.05.2010.
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